Kunst ist zurzeit nicht mehr analog erlebbar. Museen, Galerien, Ausstellungshäuser und zahlreiche Künstler*innen und andere Kulturschaffende entwickeln digitale Alternativen für Zusammenkünfte, künstlerische Räume und Einblicke in die künstlerische Praxis. Nach der Corona-Krise soll es wieder „normal“ weitergehen, aber gibt es dann noch Künstler?
Fotos/Videos: © Positions Art Fair, Gallery Weekend, Haus am Waldsee, Atelier Bettina Blohm, Atelier Rocco Barone, Klassik-Violin-Duo Duodivites, Markus Schneider (Courtesy of the artist Francisco Tropa and Gregor Podnar), Text: Alexandra Barone
Seit dem 22. März steht in Deutschland fast alles still. Um den Corona-Virus einzudämmen, hat die Politik einen Shutdown der Wirtschaft angeordnet. Neben dem Einzelhandel betrifft dieses Gebot auch die Kunst und Kultur. Galerien, Museen und Kulturinstitute mussten schnell umdenken, um ihre Besucher nicht zu verlieren. Es gibt zahlreiche virtuelle Veranstaltungen, die über die sozialen Plattformen wie Facebook und Instagram abrufbar sind. Die Berliner Kreativkultur bietet Beratungskurse für Künstler online, der Berliner Senat bietet eine Plattform für Künstler, es gibt virtuelle Führungen von Museen wie Urban Nation und die Berlinische Galerie werden angeboten und der Galerie König kann man Künstlergesprächen lauschen. Doch was ist mit den Künstlern selbst? Wie erleben sie den Shutdown?
Leben und Überleben während Corona und was ist danach?
Das Ausstellungshaus „Haus am Waldsee“ hat KünstlerInnen, die dem Haus am Waldsee durch Ausstellungen nahestehen, rund um die Welt gefragt, wie sie die Situation momentan wahrnehmen. So berichtet beispielsweise die deutsche Malerin Bettina Blohm (*1961) am 19.03. aus New York: „(…) Ich habe das große Glück, dass ich ans Alleinsein gewöhnt bin, mein Atelier ist bei mir zu Hause. Mein eigentliches Leben hat sich also nicht sehr verändert. Durch Zufall hatte ich gerade neue Leinwände und Farben bestellt und bin dadurch “versorgt”.(…) Aber es ist schwer sich zu konzentrieren, die Zukunft ist dunkel. Wird New York das überstehen? Die Kunstwelt?(…). Fast zwei Wochen später, am 02.04. schreibt sie unter anderem: „(…) Einsamkeit und vor allem Langeweile können ja sehr gut für die Kreativität sein, aber es ist schwer den Kopf freizubekommen. Ich versuche meinen Arbeitsrhythmus einzuhalten, verbringe viel Zeit im Atelier. Aber zum Malen braucht man Mut, Mut etwas Neues auszuprobieren, sich dem Ungewissen hinzugeben oder auch mal alles wegzuwischen. Und mir fehlt das Gespräch über Kunst.(…) . Vergangene Woche wiederum schreibt sie am 22.04.: (…) Meine Arbeit geht im Schneckentempo vorwärts, aber immerhin, ich kann arbeiten. Normalerweise male ich mit viel “Trial and Error”, wische immer wieder ganze Passagen weg. Aber nachdem auch die Baumärkte geschlossen haben, bin ich sparsam mit Terpentin.(…).“ Ähnlich geht es Rocco Barone. Der 71-jährige Künstler lebt in Frankfurt und konnte mit dem „Shutdown“ zunächst wenig anfangen: „Ich hatte seit Tagen kein Fernsehen gesehen und als ich zum Supermarkt fuhr, sind mir die geschlossenen Geschäfte aufgefallen!“ Rocco Barone hat sich, wie Bettina Blohm, in sein Atelier zurückgezogen. Da seine Kunstkurse, die er seit über 40 Jahren regelmäßig bei der Volkshochschule anbietet, ausgefallen sind, hat er mehr Zeit für seine Kunst. „Ich nutze die ruhige Zeit und bin sehr kreativ. Ich werde nicht mehr von anderen Dingen abgelenkt und habe die Muse, mich voll und ganz meiner Kunst zu widmen.“ Seit März sind einige neue Bilder entstanden, die er ausstellen will, sobald Galerien und Museen wieder öffnen.
Künstler und Kunsthandwerk – Zwischen Muße und Überlebenskampf
Während sich einige Künstler völlig in ihre Ateliers zurückziehen und sich ganz ihrer Kunst widmen, haben andere nicht die Muse, um kreativ zu sein. Sie müssen sich mit ganz anderen Dingen beschäftigen, nämlich: „Wie überlebe ich während Corona-Krise!“ Gerade bei den Künstlern der darstellenden Kunst und den Musikern sind Aufträge weggebrochen, die sie nicht auffangen können. Die finanziellen Hilfen von Staat, Land und Senat werden heiß diskutiert. Während Gewerbetreibende von kleineren Unternehmen die Soforthilfe beantragen können, die ausschließlich für die Bezahlung der Betriebskosten gedacht ist, müssen die anderen Selbstständigen die Grundsicherung beantragen. Die Goldschmiedin Johanna Stieg (Name von der Redaktion geändert) ist außer sich: „Die Grundsicherung ist nichts anderes als Hartz IV! Ich finde das demütigend! Meiner Meinung nach sollen Künstler und Selbstständige so an den Rand der Gesellschaft getrieben werden! Zudem werden die Antragsformulare als undurchsichtig beschrieben. Klarheit und „seelische“ Unterstützung geben einige Plattformen wie beispielsweise der Verband der Gründer und Selbstständigen e.V. (VGSD). Fast täglich werden virtuelle Expertenrunden, Beratungen, Meetups und Informationen angeboten, die den Gründerinnen und Selbstständigen weiterhelfen und sie untereinander vernetzen sollen: Vom Erfahrungsaustausch zu den angebotenen Corona-Hilfen des Bundes und der Länder, über Tipps zum Krisenmanagement und Online-Marketing in Corona-Zeiten bis hin zu mut-machende Seminare von erprobten Mentoren und Coachs. Ohne Unkosten versteht sich. „Selbstständige und Gründer brauchen eine Lobby. Wir vertreten die Interessen von Gründern und Selbstständigen sowie kleinen Unternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitern. Das schließt natürlich auch Freiberufler und Teilzeit-Selbstständige ein!“, unterstreicht Max Hilgarth. Geschäftsführer der VSGD.
Einnahmen für 2020? Das habe ich abgehakt!
Große Museen und Galerien können eventuell überleben, durch die finanziellen Unterstützungen von Bund und Land bzw. Senat, aber was ist danach? „Ich habe 2020 bereits abgehakt“, erklärt Marta Danilkovich. Die professionelle Violinistin, die hauptberuflich von ihren Auftritten und Konzerten lebt, hat im März ihr letztes „analoges“ Konzert gegeben, danach folgten einige virtuelle Auftritte. Von den Einnahmen kann sie nicht leben. „Ich habe kein anderes Standbein und habe die Soforthilfe am 8. April beim Land Hessen beantragt. Seitdem habe ich nichts mehr gehört, geschweige denn das Geld erhalten“, berichtet die 35-Jährige. Die Soforthilfe ist für ihre zwei Projekte gedacht: Duodivites hat sie gemeinsam mit ihrem Partner vor zehn Jahren gegründet. Als Klassik-Duo haben sie bereits zahlreiche Wettbewerbe gewonnen. Im zweiten Projekt, das auch bereits seit über 10 Jahren besteht, geht es um die eigene Musikproduktion nach dem Motto „Klassik meets Metal“. Beide Projekte ruhen zurzeit. Zum einen, weil zurzeit keine Studioaufnahmen möglich sind, zum anderen, weil die Konzerte nur online möglich sind. „Bei den Online-Konzerten nehmen wir nur ein Bruchteil der bereits einkalkulierten Gagen ein“, erklärt Marta. „Außerdem interessieren sich weniger Leute dafür.“ Jetzt überlegt die Violinistin, Grundsicherung (ALGII) zu beantragen. „Eigentlich möchte ich das nicht, aber von meinen Rücklagen kann ich nicht mehr lange leben. Hinzu kommt, dass durch die Corona-Krise auch die Kundenakquise für 2021 wegfällt.“ Da die Eventlocations immer noch geschlossen sind, planen viele Konzerthausbetreiber nur vorsichtig für 2021. „Ich frage mich, ob es nach Corona überhaupt noch Künstler gibt!“
Berlin Art Week, Gallery Weekend und Positions im September
Vorsichtig planen auch die Organisatoren der Berlin Art Week, des Gallery Weekends und der Berlin Art Fair Positions. Die Events sind für September geplant, allerdings können die Veranstalter aufgrund der Corona-Krise noch keine hundertprozentige Bestätigung geben. „Das Gallery Weekend hat den Vorteil, dass es dezentral ist. Einzelne Galerien öffnen ihre Türen an einem Wochenende, somit können beispielsweise wie in einem Einzelhandel Regeln eingehalten werden“, erklärt Silke Neumann, Direktorin des Organisationsbüro Bureau-N und Veranstalter des Gallery Weekend. Somit könnte sogar das eigentlich für Mai geplante Event stattfinden. Gleichzeitig arbeiten sie an einem digitalen Konzept, dass auch den internationalen Gästen, die nicht einreisen können, die Teilnahme bietet. „Natürlich ist es hierbei wichtig, gute Qualität zu liefern, und keine verwackelten Aufnahmen, bei denen man nach einigen Minuten die Lust verliert, weiter zuzuschauen.“ Ähnlich geht es den Betreibern der Berlin Art Week. „Viele unserer Veranstaltungen sind dezentral und fallen nicht unter dem Begriff der Großveranstaltung“, erklärt Simone Leimbach von Kulturprojekte Berlin. Die Leiterin der Abteilung Ausstellungen & Veranstaltungen ist sehr zuversichtlich, dass der Termin eingehalten werden kann. „Die Eventlocations sind über die ganze Stadt verteilt. Die einzelnen Galerien und Kulturinstitutionen können durch ihr Ticketsystem die Anzahl der Gäste kontrollieren und somit einen Massenauflauf verhindern.“ Viele der teilnehmenden Institutionen seien schon gut vorbereitet. Ganz so einfach hat es die Positions Berlin Art Fair nicht. Die große Berliner Kunstmesse soll vom 10. bis 13. September im Hangar 4 des stillgelegten Flughafens Tempelhof stattfinden und mehr als 1.000 Besucher werden sicherlich vor Ort sein. Die Frage ist nun, ist sie eine Großveranstaltung von mehr als 5.000 Besuchern? Dies wäre laut der Verordnung des Berliner Senats bis zum 24. Oktober verboten. Allerdings nur, wenn 5.000 Besucher zeitgleich vor Ort wären, was sehr unwahrscheinlich sei, gibt Heinrich Carstens zu Bedenken. Der Direktor der Positions Berlin Art Fair erklärt weiter: „Wir haben diverse Ideen und Konzepte, die wir bereits dem Berliner Senat vorgelegt haben. Dabei fordern wie kein Geld vom Berliner Senat, sondern nur die Möglichkeit, einen weiteren Hangar im Flughafen Tempelhof anmieten zu können und das uns preislich entgegengekommen wird.“ So könnten sie die Besucherströme besser koordinieren und hätten mehr Platz, um gegebenenfalls erforderliche Maßnahmen umzusetzen. Von der Senatsverwaltung für Kultur und Europa haben sie bereits ein positives Feedback erhalten, nun warten sie noch auf Antwort von der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe.