Den Meister der singenden Steine habe ich in seiner Geburtsstadt San Sperate getroffen. Pinuccio Sciola bringt aber nicht nur Steine zum Singen, sondern auch die weißen Hauswände seiner Geburtsstadt im Süden Sardiniens zum Leuchten.
Text: Alexandra Barone, Fotos: Davide Giaganelli
Es war Juni und eigentlich war ich unterwegs nach Cagliari, doch dann fiel mir San Sperate ein. Ich hatte von den kleinen Dorf im Süden Sardiniens und seinen Murales bereits gehört und wollte die Wandmalereien mit eigenen Augen sehen.
San Sperate und die Murales
Ich kam mittags in San Sperate an und die Sonne schien so hell, dass ich die weißen Mauern der Häuser bereits von weitem erkannte. Das Dorf war wie ausgestorben, so dass ich in Ruhe durch die engen Gassen spazierte. Auf einmal hielt ein Auto neben mir, ein Mann stieg aus und erklärte mir unaufgefordert einige Motive der Murales. Er sprach von Pinuccio Sciola und seiner Initiative im Jahr 1968, als er San Sperate mit Wandmalereien aufpeppte. Ich war neugierig geworden und fragte nach der Adresse des Künstlers.
Pinuccio Sciola – Ein introvertierter Künstler?
Dort angekommen erwartete mich ein einladendes Haus, alle Türen standen offen, klassische Musik drang leise in meine Ohren – doch weit und breit keiner zu sehen. Ich wollte schon gehen, da kam Pinuccio Sciola um die Ecke – beladen mit Tüten voller saftiger Tomaten und Orangen. Nach einer kurzen Vorstellung, gingen wir zu den singenden Steinen in seinem Freiluftatelier. Sciola sprach nicht viel, er wirkte beinah gereizt und genervt von meinem Besuch. Ich machte ein paar Fotos, hörte mir die wunderbare Musik der Steine an und beschloss, mich zu verabschieden. Doch auf einmal wachte Sciola aus seiner Lethargie auf und sagte sehr bestimmt: „Das kommt gar nicht in Frage, du bleibst zum Mittagessen!“
Pinuccio Sciola – Ein extrovertierter Gastgeber?
Ich gehorchte dem Befehl und schon bald fand ich mich in der Küche wieder und schnitt Tomaten. Pinuccio Sciola war wie ausgewechselt, er sprach von seinem Leben als Künstler und Bildhauer, von seinen Reisen nach Mexiko, wo er die großen Meister des Muralismo kennenlernte, von seinen Kontakten in ganz Europa, von seinen Ausstellungen und Auftraggebern in Deutschland. Schon bald füllte sich die große Küche mit vielen Menschen. Sciolas Freunde brachten frischen Ziegenkäse mit, eine Frau kam mit selbstgemachte Salamiwürsten, ein anderer brachte Brot aus seinem Ofen und frisches Gemüse. Einige wiederum deckten den großen Tisch und man setzte sich zum gemeinsamen Mittagessen zusammen.
Pinuccio Sciola – Ein echter Sarde!
Schnell waren interessante Themen gefunden. Ein Bekannter war aus Frankreich gekommen, er wollte am Cuncambias (in deutsch: Tauschgeschäft) teilnehmen, ein Kulturfestival im Juli, bei dem Theater, Lesungen, Musik und Tanz geplant waren. Ein ehemaliger Universitätsprofessor erzählte, warum er seinen alten Beruf an den Nagel hängte und beschloss, Bauer und Käsehersteller zu werden. Jeder hatte eine Geschichte zu erzählen, so dass ich gar nicht merkte wie es dunkel wurde.
Ich verabschiedete mich Spätabends von der heiteren Gesellschaft und von Pinuccio Sciola, der anfangs so unnahbar und jetzt ein guter Freund geworden war, der sich mit Widerwillen von mir trennte. Arrivederci San Sperate und seine wundervollen Murales…